Die Sage von der TR1 – die Geschichte einer großen Liebe – das schönste Motorrad von japanischen Fließbändern.
Nachdem ich das Motorradfahren 1982 aufgegeben hatte, schlummerte der Virus wohl in meinem Inneren weiter. Eingedämmt vom bis zum Anschlag getunten Öttinger Golf und dem aus einem Totalschaden restaurierten Opel Manta blitzten in lichten Momenten immer wieder Erinnerungen auf. Und dann, Anfang 1985 brach es wieder aus. Das Fieber war wieder da, das unbändige Verlangen Motorrad zu fahren.
Also los, eine Goldwing wollten wir uns kaufen, so richtig zum Reisen und entspannten Bummeln. Aber alle aufgesucten Händler boten uns Motorräder an, die eigentlich schon tot waren. Und das zu horrenden Preisen. Also ergebnislos wieder heim, stocksauer und irgendwie enttäuscht. Im Vorbeifahren sah ich dann im Schaufenster eines Fiathändlers ein Motorrad stehen. Vollbremsung, Rückwärts aus den Hof und angeschaut. Ein Motorrad , das ich vorher nie auf dem Schirm hatte. Yamaha stand auf dem wohlgeformten Tank, TR1 auf den Seitendeckeln. Dunkelgrün war sie, mit dicken Krauserkoffern und kleinem Windschild. Die Aluteile waren schon stark angegammelt, Reifen am Limit und Staub überall zeugte von langer Standzeit hier im Eck beim Händler.
Das Gespräch mit dem Chefe da dauerte nicht lange , er sah die Chance den Ladenhüter loszuwerden, ich wollte das Mopped um jeden Preis haben. der kaufpreis lag dann incl. neuem TÜV und Reifen sowie einer Inspektion deutlich unter unserem Limit. 3400 Mark waren es dann schlussendlich.
Drei Tage später stand sie dann angemeldet bei mir vor der Garage, eine Liebesbeziehung hatte begonnen die erst nach 34 Jahren enden sollte.
Ein trockener Schlag, Zahnflanken klatschen ineinander, ein Elektromotor winselt leise, dann zündet der V2 und bollert weich vor sich hin. Das Starten der Yamaha TR1 war eine Art Zeremonie, die mir jedes Mal aufgestellte Nackenhaare und Glückshormone bescherte. Weil der Anlasser sich akustisch so anstrengen musste, fürchtete man jedes Mal, er könne es nicht rechtzeitig schaffen. Meistens aber schaffte er es. Wenn dann der 1000er die Arbeit aufnahm und in seinen gediegenen Ruhepuls verfiel strahlte die Welt in neuem Glanz. Dieses satte, bassige Mahlen, mit der die dicken 500er Kolben ihre kurzen Wege zurücklegen, hat mich süchtig gemacht.
Vor dem Fahren stand aber erstmal das Putzen, tagelang haben wir gewaschen und poliert. Das Ergebnis konnte sich schon sehen lassen, mehr war auch nicht drin in dem Moment. Fahren wollten wir. Genussvolles, schaltfaules Gleiten auf der Drehmomentwelle bei 2800 Umdrehungen und 80 Sachen auf schmalen Sauerländer Landsträßchen, Düfte einatmen und satte Straßenlage genießen. Die Schwarzwald Hochstraße bei fast 40 Grad im Schatten erfahren. Die kleinen Straßen um den Bodensee erleben, das war das was die Liebe zur TR1 wachsen lies. Nicht die Beschleunigungsduelle und Privatrennen gegen die Hobel meiner Ruhrgebietskumpel. Das war weit unter TRs Würde, trotzdem musste sie da ab und an durch.
Dabei drehte die TR1 willig, kultiviert und klaglos sogar über 7000/min, verlor nie die Contenance, außer wenn sie beim Anlassen mal eine gewaltige Fehlzündung rausrülpste und dabei einen ihrer Vergaser absprengte. Ortsdurchfahrten im 5. Gang und dann einfach auf Landstraßentempo, das war die Stärke meiner TR1. Aber auch Autobahnfahrten waren gut zu meistern. Dank des großen Tanks und des geringen Verbrauchs mussten wir auf dem Weg zum Bodensee trotz voller Beladung nur einmal tanken.
Einmal habe ich mich doch hinreissen lassen. Auf dem Heimweg vom TR1 Treffen am Torhaus in der Nähe des alten Schottenrings. Wir waren gerade auf die Trasse des Schottenrings abgebogen und gondelten gemütlich durch den Wald, als uns eine BMW überholte. Und das ging garnicht, ich war in dem Moment wieder ein paar Jahre zurück in der Zeit. Runterschalten, Gas und hinterher. Meine Frau hintendrauf habe ich komplett vergessen, ich sah nur noch den Boxer wegziehen. Nach kurzer Hetzjagd hatte ich ihn , habe in vor einer der letzten Kurven überholt. Gleich wieder in Schräglage, dann passierte es – der Hauptständer setzte brachial auf und die ganze Fuhre drückte richtung Wald. Konnte gerade so noch abfangen, musste aber kurz danach anhalten und erstmal eine rauchen. Da sah ich denn auch die angeschliffenen Auspuffrohre, ich hätte kotzen können.
Im nächsten Winter dann, es standen auch einige Wartungsarbeiten an, habe ich die Yamaha TR1 komplett zerlegt. Allle Aluteile habe ich geschliffen um den Salzfrass rauszubekommen und dann hochglanzpoliert. Und weil so eine Alupolitur nicht von Dauer ist , gingen die Teile dann nach Iserlohn in eine Verchromerei. Zur gleichen Zeit bekam sie einen neuen Lack. etwas ganz besonderes damals. je nach Lichteinfall schimmerte sie in unterschiedlichen, metallischen Rottönen. Und flexibel war der Lack auch, selbst das weiche Topcase konnte so mitlackiert werden. Die Sitzbaank wurde von einem befreundeten Sattler noch etwas erhöht und auf unsere Hintern angepasst. Natürlich wurde mit rotem Leder gepolstert und das ganze noch edel bestickt. Ein von Magura für mich angefertigter, hoher Lenker und ein großer Windschild wurden noch montiert. Nach 5 Monaten Arbeit stand dann MEINE TR1 vor mir, edel, klassisch und bildschön.
Immer noch erinnere ich mich an den Klang, der aus den beiden verchromten Megaphontüten dröhnte, so satt und dumpf grollte es voller gutgeölter metallischer Präzision aus den Rohren.
Wird durften dann viele Jahre gemeinsamer Freude erleben, meine Dicke und ich. ob mit meiner Frau und ihrer kleinen Dampfhammer Suzuki GN400 oder mit den Kameraden vom XV Club, dessen Mitbegründer ich wurde. Es wurde Kilometer auf Kilometer abgespult…. ja bis der Club auseinanderbrach, die Frau schwanger wurde und meine Firma mich immer mehr in Anspruch nahm.
Die Dicke stand traurig in der Garage, irgendwann sogar als bewundertes Schaustück in meinem Laden, immer warm und trocken, aber sie strahlte schon eine gewisse Traurigkeit aus. Und die gefahrenen Kilometer ließen sich an einer Hand abzählen. Schön war sie immer noch.
Kinder, mein anderes geliebtes Hobby, die Modellfliegerei und meine Firma ließen die Gedanken an meine Dicke immer mehr verblassen, alle 2 Jahre TüV und das wars. Als dann der Zusammenbruch meiner Firma und der damit verbundene Neuanfang kam, musste Sie aus der warmen Halle in meine Garage zu Hause umziehen. Und das schmeckte der Dicken überhaupt nicht. Sie spang nur noch unwillig an, das Zentralfederbein verlor langsam seine Luft und der Motor lief wie ein alter Treckermotor. Auch ein zur Hilfe gerufener Schrauber richtete bei seinen Bemühungen mehr Schaden an als Nutzen. Er vertauschte wohl in seiner Unwissenheit die Vergaserdüsen, was den vorderen Zylinder endgültig dahinraffte. Da es aber zu dem Zeitpunkt an Geld und Zeit mangelte mich zu kümmern, verbrachte die TR1 den Rest Ihrer Tage zugedeckt in der Garage. Endlich, nach 5 Jahren, 2017 wars, fand ich endlich jemanden der sich mit solchen Motorräder auskannte. Und er gab sich alle Mühe, die Dicke wieder zum laufen zu bekommen.
Was habe ich mich gefreut, als er mir das erste Video schickte vm laufenden Motor der zwar unrund aber laut bollernd vor sich hin brabbelte. Aber wie es so kommt, wir bekamen keinen Druck mehr auf den vorderen Zylinder, Lichtmaschine und Regler waren auch defekt. Das hintere Federbein musste raus und diee Gabel komplett neu abgedichtet werden. Die Vergaser waren auch nicht mehr zu retten, die Liste der erforderlichen Teile wurde immer länger . Und vor allen , viele der Teile waren nicht mehr zu beschaffen oder waren unverschämt teuer.
Schlicht gesagt, wärs ein Pferd gewesen , käme jetzt der Abdecker. Als ich die Nachricht vom wirtschaftlichen Tod meiner Dicken ereilte, habe ich sprachlos dagesessen und eine Träne vergossen. Der Entschluß sie zu verkaufen, machte mich unendlich traurig, aber ich fand jemanden der die Dicke ins Herz schloss und ihr mit seinen Möglichkeiten und viel Geldeinsatz neues leben einhauchte. Ich hoffe , das Ihr noch viele Jahre mit gutem Asphalt unter den Gummis bleiben.
Epilog :
Vorbild für die Yamaha TR1 war angeblich die Brough Superior , Modell SS100 aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie wurde auch „Witwenmacher“ genannt. Der bekannteste Fahrer, der mit Ihr ums Leben kam, war Thomas Edward Lawrence, der als Lawrence von Arabien in die Geschichtsbücher einging. Lawrence kam am 13. Mai 1935 mit seinem Motorrad, einer Brough Superior SS 100, von der Straße ab, wobei er schwerste Kopfverletzungen erlitt. Er lag sechs Tage im Koma und starb am 19. Mai 1935 im Alter von 46 Jahren
Ein Gedanke zu „Ein Nachruf – im Gedenken an meine Yamaha TR 1“